Detmold 2035: "Zukunft durch lokale Wertschöpfung und Zusammenarbeit sichern"
Die großen Themen, das sind der Klimaschutz, aber auch ein lebenswertes Leben mit bezahlbarer Energie. Dr. Miriam Mikus, Erste Beigeordnete der Stadt Detmold, in deren Verantwortungsbereich das Thema Nachhaltigkeit fällt, zeigte sich mit dem Verlauf des Abends sehr zufrieden: "Ich habe den positiven, dynamischen Geist verspürt und viele tolle Rückmeldungen bekommen."
Gleich zu Beginn der Veranstaltung erwartete die Teilnehmenden zunächst einmal "schwere Kost": Der Meeresbiologie und Klimafolgen-Forscher Dr. Udo Engelhardt brachte das Publikum mit seinem Vortrag "Eine Welt, ein Klima, eine (letzte) Chance" klimatechnisch auf den neuesten Stand, und der sieht derzeit nicht gut aus: "Wir haben das Stadium des Klimawandels bereits überschritten. Das System ist nun dabei, auseinander zu fallen", machte Engelhardt auf drastische Weise klar, dass es schwer werde, den Prozess noch abzumildern, wenn nicht in diesem Jahr entscheidende Veränderungen auf den Weg gebracht würden.
(Ein ausführlicheres Interview mit Dr. Udo Engelhardt im Anhang an diesen Text)
Den zweiten Vortrag des Abends steuerte Felix Rodenjohann bei. Er ist Geschäftsführer des von der Stadt Detmold beauftragen Unternehmens "ansvar 2030" und hat mit seinem Team in den zurückliegenden Wochen bereits konkrete Ideen für Detmold erarbeitet. Unter anderem machte er deutlich, dass sich für Unternehmen, aber auch für Privathaushalte die Abkehr von fossilen Brennstoffen und in der Folge Investitionen in erneuerbare Energien aufgrund der Preisentwicklungen schon heute gut rechnen ließen. "Wenn dadurch zum Beispiel eine vierköpfige Familie im Jahr um die 600 Euro mehr in der Kasse hat als jetzt, kann sich das schon sehen lassen", so Rodenjohann.
Er warb bei den Teilnehmenden dafür, der Stadt Detmold freie Flächen zu melden, auf denen Freiflächen-Photovoltaik aufgebaut werden könne. "Strom, Wärme und Mobilität sind unsere großen Hebel, mit denen wir am schnellsten gute Ergebnisse und Unabhängigkeit erreichen. Klar ist: In allen Bereichen brauchen wir den Strom. Also sollten wir möglichst viel davon selbst produzieren."
Um zum Beispiel eine Wärmepumpe preisgünstiger zu erwerben, rät Rodenjohann, als Gemeinschaft Wirtschaftskraft zu entwickeln und über die Order größerer Stückzahlen Preisrabatte beim Einkauf zu erzielen. Das gleiche sei bei der Beauftragung der Handwerksbetriebe möglich, wenn es um den Einbau gehe. Auch für das Handwerk gebe es an dieser Stelle großes Potenzial.
Um all diese Möglichkeiten nutzbar zu machen, bedarf es einer gemeinsamen Organisationseinheit, die schon in Kürze durch die Gründung des Vereins "Detmold 2035" entsteht. Im Verlauf der Auftaktveranstaltung fanden sich bereits sieben Gründungsmitglieder, die den gemeinnützigen Verein am 26. September 2024 aus der Taufe heben wollen. Das Ziel ist definiert: Aktiv den Klimaschutz fördern und bis 2035 ein klimaneutrales, noch lebenswerteres Detmold schaffen.
An verschiedenen Thementischen konnten sich Besucherinnen und Besucher im Anschluss unter anderem über die Bereiche "Schnelle Wärmewende", "Günstige Energieversorgung" und "Mobilitätswende" informieren und mögliches Interesse für eine weitere Mitarbeit in künftigen Arbeitsgruppen signalisieren.
"Detmold hat unglaubliches Potenzial, viele begeisterte Menschen haben sich bereits als Mitstreitende gemeldet", freut sich Dr. Miriam Mikus, "das ist eine riesige Chance für unsere Gemeinschaft, um aus der Krise eine Chance zu machen, indem wir unsere Zukunft durch lokale Wertschöpfung und Zusammenarbeit sichern."
Alle Informationen zum Thema "Detmold 2035" sind auf der dieser Website nachzulesen: https://klima.detmold.de/mitmachen/detmold-2035
"Städte wie Detmold können Auslöser einer weitreichenden Transformationswelle sein"
Dr. Udo Engelhardt ist Meeres-Biologe. Seit 25 Jahren erforscht er die Klimafolgen und ist Botschafter für den Klimapakt der Europäischen Union.
Sie sagen, den Punkt des Klimawandels haben wir bereits überschritten. In welcher Phase befinden sich die Welt, die Erde und unser Klima aktuell?
Dr. Udo Engelhardt: Der Begriff "Klimawandel' hat uns für viele Jahrzehnte begleitet, beschreibt aber die in den letzten Jahren deutlich eskalierende Klimakrise nicht mehr adäquat. Aufgrund der Rekordwerte bei den Temperaturen und auch den Extremwetterereignissen generell, die im Jahr 2023 weltweit beobachtet wurden, hat die UN im Juli 2023 erklärt, dass wir im Zeitalter des "globalen Kochens" (global boiling) angekommen sind. Dieser Begriff ist in Anlehnung an eine Geschwindigkeit der klimatischen Veränderungen, die mit einem langsamen und kontrollierten Wandel einfach nichts mehr zu tun haben.
Was ist aus Ihrer Sicht an dieser Stelle das Wichtigste "To do" - und wieviel Zeit bleibt uns dafür?
Dr. Udo Engelhardt: Wir nähern uns einer Reihe von sogenannten klimatischen Kippunkten (z.B. das Abschmelzen der polaren Eiskappen, das Auftauen der arktischen Permafrostböden und Veränderungen der Meeresströmungen), bei deren Überschreitung selbstverstärkende Mechanismen ausgelöst werden. Diese führen dann wiederum zu weiteren, nicht mehr reversiblen Temperaturentwicklungen. Der Temperaturbereich, in dem die klimatischen Kipppunkte ausgelöst werden, liegt zwischen ca. 1,5 und 2,0 Grad globaler Erwärmung. In 2023 haben wir den unteren dieser kritischen Werte zum ersten Mal erreicht und sind somit in der akuten Gefahrenzone angekommen. Es ist absolut essenziell, dass wir die Emissionen klimaschädlicher Gase, wie z.B. Kohlendioxid, Methan und Lachgas schnellstmöglich massiv reduzieren. Gleichzeitig müssen wir unbedingt die natürlichen Senken für diese Gase, wie z.B. die Meere, Wälder, Moore und andere Ökosysteme, nicht nur schützen, sondern auch regenerieren.
Sie haben die Gleichung aufgemacht, dass Klimaschutz gleich Naturschutz gleich Menschenschutz ist. Können Sie das kurz erklären?
Dr. Udo Engelhardt: Da der Zustand der Atmosphäre und somit des Klimas mit dem Zustand natürlicher Ökosysteme und der Stabilität unserer Lebensgrundlagen eng miteinander verbunden ist, beschreibt die Gleichung Klimaschutz = Naturschutz = Menschenschutz die wechselseitige Abhängigkeit dieser Elemente am besten.
Wir in Detmold haben uns ins Sachen Klimaneutralitätsprozess auf den Weg gemacht. Global betrachtet sind wir nur ein ganz kleines Rädchen. Was können wir aus Ihrer Sicht dennoch bewirken?
Dr. Udo Engelhardt: Städte weltweit sind die großen Zentren der globalen Emissionen, da ca. 70 Prozent aller klimaschädlichen Gase direkt oder indirekt über menschliche Aktivitäten in Städten produziert werden. Städte wie Detmold, die es schaffen können, effektive Klimaschutzmaßnahmen schnell und zum Nutzen der Bewohner umzusetzen, sind potenziell von großer Bedeutung, da sie Auslöser einen weitreichenden Transformationswelle mit globaler Sichtbarkeit werden können.